Zwänge und Zwangsstörungen
Mittwoch, den 08. Oktober 2008 um 08:55 Uhr
Mit den Zwängen verhält es sich ähnlich wie mit den Ängsten: Leichte, vorübergehende Zwänge sind eher Rituale und als normal anzusehen. Schwere Zwänge hingegen schränken die Bewegungsfreiheit des Betroffenen ein und machen ihm Angst, wenn dem Zwang einmal nicht nachgegeben werden kann. Man spricht dann von Zwangsstörungen. Letztere sind im Kindesalter eher selten. Sie treten vor allem ab dem späten Grundschulalter auf und sind aus ungeklärter Ursache bei Jungen häufiger als bei Mädchen. Leitbeschwerden
Wann zum ArztIn den nächsten Tagen, wenn
Das Wichtigste aus der MedizinHarmlos oder krankhaft?Das fällt allen Eltern auf: wenn ein Kind freiwillig, gründlich und vor allem ständig die Hände wäscht – ein »Waschzwang« ist eine mögliche Ursache.
[IMS]Wer kennt das Gefühl nicht – man kann erst aus dem Haus gehen, wenn man noch einmal in die Küche gegangen ist und nachgeschaut hat, ob der Herd auch wirklich aus ist. Ähnlich geht es Kindern: Viele kleine Kinder können erst dann beruhigt einschlafen, wenn sie ihre Kuscheltiere auf eine bestimmte Art und Weise sortiert haben. Oder unter das Bett geguckt haben, ob da wirklich kein Krokodil lauert. Etwas Ältere gehen auf dem Schulweg nur auf den Platten und nicht auf den Linien, damit ein Wunsch in Erfüllung geht oder »alles wieder gut wird«. Ob man hier nun von einem Ritual oder von einem Zwang spricht, ist egal – ein solches Verhalten gehört zur kindlichen Entwicklung dazu. Es ist ein Teil des Bemühens, die chaotische Welt unter Kontrolle und in ein geordnetes Gefüge zu bringen. Mit dem Schuleintritt verliert sich das Ritualverhalten meist von selbst. Anders bei Zwangsstörungen: Hier ist ein normaler Alltag nicht mehr möglich. Das Kind muss sich immer wieder die Hände waschen oder die Zähne putzen. Es wird durch seine selbst gesetzten Regeln also in seiner Bewegungsfreiheit eingeschränkt. Da ein Unterlassen der Zwangshandlung eine starke Angst auslöst, rechnen Mediziner die Zwangsstörungen auch zu den Angsstörungen. Die Ursache der Zwangsstörungen ist unbekannt, es handelt sich aber sicherlich nicht um eine Reaktion auf frühkindliche psychische Belastungen oder Konflikte. Genetische Faktoren und/oder Störungen der Gehirnentwicklung spielen wahrscheinlich eine Rolle. Etwa 2 % der Kinder sind betroffen, oft haben diese Kinder gleichzeitig auch andere Verhaltensauffälligkeiten. Leider werden Zwangsstörungen noch immer viel zu spät erkannt (sie werden oft lange etwa als ADHS angesehen) und oft inadäquat behandelt. So sind z. B. die »konfliktorientierten« Formen der Psychotherapie komplett nutzlos. Abzugrenzen von den Zwangsstörungen sind die so genannten Tics: plötzliche, unwillkürliche, wiederholte Bewegungen oder Lautäußerungen, die das Kind nur eine Weile und unter wachsender Spannung unterdrücken kann. Bei Kindern besonders häufig sind Blinzeln, Kopfschütteln oder Die-Nase-Rümpfen. Aber auch komplexe Bewegungsmuster wie plötzliches Hüpfen oder Mit-den-Armen-Rudern sowie Sprachäußerungen (Hüsteln, Räuspern, unartikulierte Laute, aber auch obszöne oder unflätige Ausdrücke) kommen vor. Teilweise werden auch gehörte Sätze automatisch wiederholt (mehr dazu siehe Kasten "Tics"). TicsTics sind wesentlich häufiger als Zwangsstörungen. Etwa 20 % aller Kinder haben irgendwann einmal einen Tic, Jungen viermal häufiger als Mädchen. Nur ein Prozent von ihnen behält den Tic bis ins Erwachsenenalter. Ist ein Tic chronisch (d. h. hält er über ein Jahr an) und zeigen sich bei einem Kind mehrere Tics, die sowohl den motorischen Bereich als auch die Stimme betreffen, so spricht man von einem Tourette-Syndrom. Letzteres wird oft von »echten« Zwangsstörungen oder einem ADHS begleitet. Ein Teil dieser Fälle hat einen erblichen Hintergrund, und neuere Forschungen zeigen bei den betroffenen Kindern bestimmte Auffälligkeiten im Gehirn, wie etwa vergrößerte Basalganglien, die an der Steuerung von Bewegungsmustern beteiligt sind. Auch eine übersteigerte Immunreaktion gegen bestimmte Bakterien, die bei Kindern häufigen Streptokokken, könnte eine auslösende Rolle spielen, jedenfalls finden sich im Blut von Kindern mit chronischen Tics häufiger Antikörper gegen Streptokokken. Die betroffenen Kinder bekommen in der Schule und zu Hause wegen ihres bizarren und oft störenden Verhaltens nicht selten Probleme, der daraus resultierende Stress verstärkt die Störung. Nicht selten werden sie mit einem ADHS diagnostiziert, landen wegen des Hüstelns beim HNO-Arzt oder wegen des Augenblinzelns beim Augenarzt. BehandlungWeder gutes Zureden noch Bestrafung helfen. Leichte Tics gehen am ehesten weg, wenn man sie ignoriert, dabei aber darauf achtet, übermäßige Belastungen abzubauen und dem Kind insgesamt positiv zu begegnen. Es kann aber mehrere Monate dauern, bis der Tic wieder weg ist. Beeinträchtigt der Tic allerdings das Zusammenleben in Schule und Familie, ist fachliche Hilfe angezeigt. »Feld-Wald-Wiesen«-Psychotherapien sind dabei ziemlich nutzlos, denn psychische Probleme sind meist eher die Folge als die Ursache der Störung. Bei chronischen Tics sind Medikamente wie Tiaprid oder Risperidon eine Stütze der Therapie. Die Auswahl ist sehr individuell und sollte von Ärzten getroffen werden, die sich mit Tics und Tourette-Syndrom auskennen. Infos im Internet: www.tourette.de Das macht der Arzt
Aktualisiert ( Montag, den 09. Februar 2015 um 14:11 Uhr )
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