Gedeihstörungen
Freitag, den 17. Juli 2009 um 09:46 Uhr
Siehe auch Gedeihstörungen beim Säugling Unter einer Gedeihstörung versteht man eine gestörte gesamtkörperliche Entwicklung beim Kind. Die betroffenen Kinder sind für ihr Alter und für ihre Größe zu leicht. Ihr Gewicht liegt entweder unter der dritten Perzentile der Gewichtskurve (d. h. sie sind leichter als 97 % ihrer Altersgruppe), oder sie rutschen auf der Gewichtskurve immer weiter von ihrem bisherigen Verlauf ab (etwa von der 75. Perzentile unter die 25. Perzentile). Besteht die Gedeihstörung länger, so ist auch das Längenwachstum betroffen (ein solcher Kleinwuchs hat aber auch zahlreiche andere Ursachen, siehe Untergewicht und Gedeihstörungen, Klein- und Großwuchs). Gar nicht so selten kann bei einer Gedeihstörung keine organische Ursache gefunden werden. Wird das Kind in der Kinderklinik untersucht und eine Zeit lang beobachtet, so nimmt das Kind normal an Gewicht zu. Der Kinderarzt geht dann von einer psychosozialen Ursache für das mangelnde Gedeihen aus. Dahinter kann ein Zuviel an Stress zu Hause stehen, zu wenig Unterstützung beim Elternsein oder auch psychische Belastungen der Eltern. Vor allem von Großeltern werden bei dünnen Enkelkindern oft Gedeihstörungen vermutet. Solange Kinder normal leistungsfähig sind, schon immer dünn waren und normal groß sind, sind diese Kinder jedoch ganz normale Kinder, bei denen man eben die Rippen zählen kann. Die Tatsache, dass das Längenwachstum normal verläuft, weist darauf hin, dass es dem Körper nicht an Energie fehlt. Der »Speckmantel« entwickelt sich im Verlauf des Lebens dann von selbst. Das Körpergewicht spiegelt nämlich im ersten Lebensjahr vor allem die Nahrungszufuhr wider, selbst Kinder sehr schlanker Eltern können deshalb als Säuglinge richtig dicke »Buddhas« sein. Im Kleinkindalter dagegen wächst das Kind mehr nach seinem genetischen Plan, das heißt, es nimmt nun langsam den Körperbau an, den auch seine Eltern haben. Was tun bei einer Gedeihstörung?In einem gewissen Sinne ist jede echte Gedeihstörung ein Notfall. Denn wenn Kinder nicht gedeihen, dann heißt das auch, dass ihnen Energie fehlt, um für ein gesundes Wachstum ihrer inneren Organe, ihres Skeletts und nicht zuletzt ihres Gehirns zu sorgen. Gerade deshalb ist eine Gedeihstörung bei einem Säugling (der ja durch die schnellste Wachstumsphase seines Lebens geht) noch besorgniserregender. Eine solche Ausnahme können ansonsten gesunde Babys sein, die aus unerklärlichen Gründen zu wenig trinken. Sie erscheinen zufrieden, sind recht pflegeleicht, aber melden sich einfach nicht oft genug, um ihr Wachstumspensum zu schaffen. Leider ist die Ansicht weit verbreitet, dass Säuglinge, solange sie nur »gut drauf« sind, schon das bekommen, was sie brauchen. Das stimmt nicht, es gibt, wenn auch selten, Säuglinge, denen nichts fehlt und die mit einem Lächeln auf den Lippen verhungern würden. Auch wenn die Ursache einer Gedeihstörung in manchen Fällen offensichtlich ist, in vielen Fällen ist der Grund gar nicht so einfach zu finden. Praktisch jede Krankheit aus dem Stichwortregister dieses Buches kann eine Gedeihstörung verursachen, entsprechend viel Staub muss manchmal aufgewirbelt werden, bis die Ursache feststeht. Stellen Sie Ihr Kind bei entsprechendem Verdacht dem Kinderarzt vor. Der erste Schritt besteht darin festzustellen, ob das Kind wirklich hinter seinem Wachstumspotential zurückbleibt. Dazu wird der Arzt zunächst den Wachstumsverlauf der letzten Monate und Jahre genau begutachten und auch errechnen, auf welcher Perzentile das Gewicht Ihres Kindes in Bezug auf die Körpergröße liegt. Eine gründliche Untersuchung schließt sich an, eventuell auch Blut-, Stuhl- und Urinuntersuchungen. Womöglich lässt Sie der Arzt auch eine Woche lang ein Ernährungsprotokoll führen. Ergibt sich durch die Untersuchungen ein gezielter Verdacht, wird entsprechend weiter ermittelt und behandelt. Dazu gehört eventuell auch eine stationäre Aufnahme. Klappt dort das Gedeihen und kann eine zugrunde liegende Erkrankung nicht gefunden werden, so deutet dies darauf hin, dass irgendwo Sand im Familiengetriebe ist. Und der kann an vielen Stellen sitzen, von einer nicht optimalen Nahrungszubereitung bis hin zu einem Ãœbermaß an Stress oder psychischer Ãœberforderung der Eltern. In einem solchen Fall braucht also die ganze Familie Hilfe. Ergibt sich bei der Abklärung jedoch kein Hinweis auf eine Gedeihstörung, d. h. bescheinigt der Kinderarzt Ihrem Kind, dass es in vertretbarem Tempo »zulegt«, so sollte dieses Thema auch in der Familie zur Ruhe kommen dürfen. Ersparen Sie Ihrem Kind dann auch weitere Angriffe von mit Lebertran, Rote-Bete-Säften und sonstigen Stärkungstrunken bewaffneten Großeltern und Tanten.
Aktualisiert ( Mittwoch, den 26. August 2009 um 14:54 Uhr )
© Herbert Renz-Polster et. al.: Gesundheit für Kinder, 2. Auflage 2006, Kösel Verlag München |